#37 – Verluste

Verluste kann man auf viele unterschiedliche Art und Weise erleben. Mein erster Verlust und gleichzeitig der erste Kontakt mit dem Tod waren Tiere. Wir hatten zum einen Wildkaninchen und später Zwergkaninchen, diese lebten in ihrem Stall und Auslaufgehege im Garten, wir Kinder haben uns die Tiere gewünscht, aber wie das in vielen Familien ist verlor man das Interesse daran. Sehr lange hatte ich mir einen Hamster gewünscht, diesen Wunsch habe ich mir erfühlt als ich 2011 in meine eigene Wohnung zog. Ich wusste dass diese kleinen Tierchen „nur“ zwei Jahre alt werden, aber dennoch war es hart.

Mein erster Teddyhamster musste ich aufgrund eines doppelseitigen Tumors zwei Wochen vor ihrem 2. Geburtstag einschläfern lassen, sie war auch eher der Typ „Schlaftablette“. Sie schlief lieber in ihrem Häuschen als sich sportlich zu betätigen und auch wenn man den Käfig öffnete kam sie eher selten hervor. Aus guten Gründen wollte ich kein Tier in der Zoohandlung kaufen und ließ mich dann doch überreden, jedoch lebte dieses Hamsterweibchen nur zwei Monate. Der dritte Hamster war ein Männchen und wieder von einer Privatperson, dieser kleine Mann war eine kleine Sportskanone und sehr anhänglich und kuschelbedürftig, er kam jedes Mal wenn das Terarium auf ging, stubsen und suchte den Körperkontakt, nach rund eineinhalb Jahren lag er eines Tages neben dem Futter.

Nach diesen beiden raschen Todesfällen hatte ich große Zweifel ob ich mir ein weiteres Tier anschaffen sollte. Nach rund drei Monaten entschied ich mich dann doch für ein neues, weiteres Tierchen, dies Mal wurde es ein Goldhamstermädchen. Dieses macht mir sehr viel Freude, aber es gibt auch einige Abende/Nächte in denen sie mich aggressiv macht, wenn sie zum x-ten Mal versucht an den Wänden hoch zu klettern. Sicherlich kann man ein Tier mit einem Menschen nicht vergleichen, aber dennoch waren es Wesen die mir sehr nah standen.

Bedauerlicherweise habe ich auch Bekanntschaft mit dem Tod von Menschen gemacht. Im Juli 2010 saß ich an einem Samstagmorgen in meiner Ausbildungsstätte und bereitete den Tag der offenen Tür vor als meine Mutter mich anrief um mir mitzuteilen dass ihre Mutter, meine Oma gestorben war. Sie lebte bereits zwei Jahre in einer Demenz-WG und hat keinen mehr erkannt, weswegen ich die letzten zwei Jahre auch nur einmal bei ihr war, ich wollte sie Erinnerung behalten wie sie vorher war. Vor dieser Demenz-WG hat sie in einer Hausgemeinschaft für Senioren gelebt, doch als die Demenz schlimmer wurde konnte man sie nicht mehr alleine lassen und sie zog in die Demenz-WG.

Es klingt vielleicht komisch, aber die Beerdigung fand ich wirklich schön. Die Trauerrede des Pfarrers und der Sarg stand in der Mitte geschmückt mit Blumen, die Beisetzung selbst war natürlich sehr traurig, dafür konnten wir bei dem „Leichenschmaus“ an sie erinnern und zum Teil sogar lachen. Vier Jahre und 22 Tage später verstarb sehr plötzlich auch die Mutter meines Vaters, bedauerlicherweise zwei Tage vor dem 19. Geburtstag meiner Schwester. Ich bekam an diesem Donnerstagmorgen eine Nachricht von der Ex-Freundin meines Onkels mit der Frage ob ich die Telefonnummer meines Vaters hätte, damit konnte ich leider nicht helfen, aber sie teilte mir in diesem Gespräch mit das meine Oma verstorben war.

Bei der Beisetzung war ich nicht dabei – aus Selbstschutz. Ich wollte meiner Schwester bei stehen (die bei der anderen Beisetzung nicht dabei war), doch sie meinte das es okay sei wenn ich nicht mit komme und hat stattdessen ihre Freundin mitgenommen. Die Gründe waren vielfältig. Zum einen wäre da die Tatsache das ich meinen Vater seit rund drei Jahren nicht mehr gesehen habe, er sehr wechselseitig ist und ich nicht wusste wie er reagiert wenn wir auf einander treffen, der zweite und dritte Grund hängen zusammen. Meine Oma väterlicher Seite wohnte in einem Nachbarort und von hier hätte ich alleine nicht flüchten können, wenn es mir hätte zu viel werden können und wie bei der Beisetzung meiner Oma gäbe es danach noch Essen, und das Thema Essen im Anwesenheit meines Vaters ist schon mein ganzes Leben heikel, neben diesen drei Punkten gab es noch die Tatsache das ich emotional einfach nicht stabil genug war.

Ich hatte erst Schuldgefühle sowohl meiner Schwester gegenüber, weil ich sie alleine gelassen habe und auch meiner Oma gegenüber denn wir haben uns Jahre nicht mehr gesehen.

Neben dem Tod gab es, aber auch noch andere Verluste. Als ich im Sommer 2006 die Körperbehindertenschule mit einem guten Lernbehindertenabschluss verließ begann auf dem Berufskolleg für Blinde und Sehbehinderte, eine komplett neue Welt für mich. Ich hatte zwar nach wie vor Kontakt zu meinen Freunden, aber mit der Zeit wurde der Kontakt immer dünner. Ich habe irgendwann nicht mehr eingesehen allen hinterher zu laufen, doch bis heute tut es weh zu wissen das es diese Clique von damals nie mehr geben wird. Wir waren eine große Gruppe und haben so ziemlich alles miteinander geteilt, schöne wie nicht so schöne Dinge.

Aufgrund der Tatsache dass ich nach fünf Jahren Regelschule Förder- und Sonderschulen besucht habe, hab ich in meiner Stadt keinen Freundeskreis aufbauen können und dies ist bis heute geblieben. Ein paar Freunde sind durch das Internet oder außerschulische Projekte „hängen geblieben“. Sehr schade fand ich, es gab eine Freundin in der Grundschule mit der ich viel Zeit verbracht habe, sie ging nach der Grundschule auf das Gymnasium und ich war erst auf der Gesamtschule und dann eben auf der Körperbehindertenschule. Irgendwann brach der Kontakt ab warum genau weiß ich bis heute nicht, aber es freut mich für sie das sie ihren Traum verwirklichen konnte und heute Medizin studiert, ich bin mir sicher sie wird eine tolle Ärztin.

 Es war zwar eine bewusste Entscheidung doch den Abbruch der Ausbildung und die damit verbundene Arbeitslosigkeit war für mich ein großer Verlust. Jahrelang hat man auf diese Ausbildung hin gearbeitet, Jahrelang gekämpft um diesen Ausbildungsplatz zu bekommen und dann kommt da eine Angststörung daher und macht all diese Pläne kaputt. In den letzten dreieinhalb Jahren gab es Momente in denen ich darüber nachdachte ob es eine richtige Entscheidung war, doch dann mache ich mir bewusst das ich mich ein halbes Jahr gequält habe und es bis zur letzten Minute versucht habe.

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